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Jan Strobl



Filmmusik im Spannungsfeld zwischen Sound-Design und elektronischer Musik

Einleitung

Traditionell wird der Ton eines Filmes in drei Bereiche unterteilt:

Viele aktuelle Quellen nehmen diese Unterteilung vor, wobei eine sichere Unterteilung meist als unmöglich erachtet wird.

Noch größere Schwierigkeiten bereitet eine Unterscheidung zwischen Sound-Design und elektronischer Musik. Sicher ist eine solche Unterscheidung möglich, sie kann jedoch, abhängig von den ihr zugrunde liegenden Kriterien, unterschiedlich ausfallen. Ob sie sinnvoll oder gar notwendig ist, ist eine andere Frage.

Schwierig ist eine Unterscheidung auch, weil es für die beiden Bezeichnungen "Sound- Design" und "elektronische Musik" weder eine eindeutige Definition noch allgemein anerkannte Kriterien zu deren Identifizierung oder Abgrenzung gibt. Selbst die Begriffe "Sound" und sogar "Musik", Wörter, die sicher jedem geläufig sind, der die deutsche Sprache beherrscht, sind bei genauerer Betrachtung schwer zu definieren. Aus diesem Grund werde ich diese Arbeit mit einer Definition der beiden wichtigsten Begriffe dieser Arbeit "Sound-Design" und "Elektronische Musik", vor allem im Kontext von Filmen, beginnen und davon ausgehend die sich daraus ergebenden Abgrenzungen und Unterscheidungsmöglichkeiten darstellen.

Eine weitere, grundlegende Problematik ist, wann Filmmusik elektronische Musik ist und was nicht-elektronische Filmmusik ist bzw. sein könnte. Außerdem werde ich auf die Fragestellung eingehen, inwieweit es sich bei Kompositionen - instrumentalen und elektronischen - um Sound-Design handelt, und umgekehrt anhand von konkreten Beispielen zeigen, dass kreierte Sounds eines Films ein musikalisch durchkomponiertes Werk darstellen können.

Begriffsverwirrung

Sound

Sound stammt aus der englischen Sprache und wird von allen Englisch-Deutsch Wörterbüchern u.a. mit Geräusch, Klang und Ton übersetzt. Aus musikalischer Sicht wären damit alle möglichen akustischen Ereignisse bezeichnet.

Die Verwendung des Wortes Sound in der deutschen Sprache hat ihren Ursprung in der Fachsprache des Jazz. Zunächst wurde damit (ausgehend vom Stil 'Swing') der "typische Klang" einer Band oder eines Solisten bezeichnet, im engeren Sinne die Klangeigenschaften des Arrangements der Instrumentation und der Tonbildung: [...]" 1

In der Rockmusik der 60er Jahre wurde der Begriff des Sounds wesentlich weiter gefasst, und als akustischer Gesamteindruck von Musik verstanden. Sound fand - so Schätzlein 2 - 1973 das erste mal Eingang in den Duden als "Klangwirkung, -richtung" 3 . Neuere Lexika beschreiben Sound als "charakteristischer Klang / charakteristische Klangfarbe" 4 oder "spezifischer Klang" 5 .

Der Begriff Sound wird heute auch häufig wertend verwendet (guter / schlechter Sound), wobei auch objektiv 'schlechterer' Sound oft gewünscht sein kann ("Vintage- Sound"). Davon zu trennen ist die quantifizierte Verwendung des Wortes Sound (ein Sound, verschiedene Sounds), womit im weitesten Sinne Spezial-Effekte oder synthetische oder zumindest verfremdete Klänge gemeint sind.

Sound-Design

Der Begriff des Sound-Designs tauchte erstmals in Form der dazugehörigen Berufsbezeichnung "Sound-Designer" 1979 im Abspann von Francis Ford Coppolas Film "Apocalypse Now" auf 6 . Heute wird der Begriff inflationär gebraucht, jeder Spielfilm, jeder Werbespot, sogar Dokumentarfilme, Computerspiele und auch Pop-Produktionen weisen häufig sogar mehrere am Sound-Design beteiligte Personen aus. Das "Designen" von Sound bleibt jedoch nicht auf Bereiche beschränkt, in denen Töne und Geräusche zu künstlerischen oder informationstragenden Zwecken hergestellt werden. Auch die unvermeidbaren Geräusche von Gebrauchsgeräten werden inzwischen nicht mehr dem Zufall überlassen, für Produkte wie Rasierer oder Küchengeräte gibt es längst Sound- Designer. Der Klang der zuschlagenden Autotür einer Mercedes-Limousine ist patentiert und auch Firmen wie Nestlé lassen den beim Zerbeißen entstehenden Klang von Cornflakes oder Keksen in wissenschaftlichen Studien untersuchen und verbessern.

Im wesentlichen lassen sich zwei unterschiedliche Vorstellungen darüber erkennen, was Sound-Design, insbesondere im Bereich des Films ist. In einer weiten Begriffsbestimmung formuliert Professor Lensing von der Fachhochschule Dortmund:

"Sound Design steht in der Regel beim Film für die Gestaltung der gesamten Tonspur."7

Diese erste Position wird auch in der Literatur häufig erwähnt und meist als die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs bezeichnet. Dies ist verständlich, da der erste, als solcher bezeichnete Sound-Designer Walter Murch (Apocalypse Now) für den Ton in seiner Gesamtheit zuständig war, während der berühmte Klang der Helikopter von Randy Thom stammt. Dieser teilt in etwa Lensings oben zitierte Ansicht darüber, was Sound-Design ist, auch wenn er nicht genau beschreibt, wie weit die Tätigkeiten des Sound-Designers denn wirklich gehen:

"SoundDesign ist interdisziplinär. Der SoundDesigner nimmt die Klänge selbst auf, er schneidet sie, bearbeitet ihre Klangfarbe mit Effekten und mischt sie. Damit verbindet er sonst getrennte Arbeitsbereiche. Manchmal nimmt er sogar von Anfang mit teil an der Entwicklung des Drehbuchs, um die Geschichte besser zu erzählen. Im Idealfall ist er von Anfang an gleichberechtigter Partner."8

Unter Anwendung dieser Begrifflichkeit könnte man auch Filmmusik als einen Teil des Sound-Designs bezeichnen. In jüngerer Zeit wird der Begriff des Sound-Designers allerdings eher in der im folgenden beschriebenen Art und Weise verwendet, während für die bis hier beschriebene umfassende Tätigkeit heute Bezeichnungen wie "Sound- Supervisor" in den Abspännen der Filme auftauchen.

Die zweite, meiner Meinung nach stärker verbreitete, Vorstellung über die Bedeutung des Wortes Sound-Design sieht darin die Erzeugung und Erfindung neuer Klänge. Im Bereich des Films geht es dabei insbesondere um Spezial-Effekte.

"Gerade weil im Kreationsprozeß von Special Effects oder Creature Sounds ein großes Maß an "Design" neuer bis dato ungehörter Sounds gefragt ist, wurde der Begriff des Sound-Designers gerade in den letzten Jahren synonym mit dem des Special-Effects-Designers."9

Vor allem die tatsächliche Verwendung des Begriffs in Filmen, in der Werbebranche, in Computerspielen und auch im Bereich der Musik deuten darauf hin, dass dies die praktisch akzeptierte Bedeutung des Wortes ist. Auch die häufig anzutreffende Behauptung, Sound-Designer seien die Geräuschemacher der Gegenwart bzw. es handle sich um die gleiche Tätigkeit nur mit anderen Mitteln, bestätigen dies.

Da es bei der vorliegenden Arbeit auch um die Abgrenzung zur Musik geht, werde ich mich überwiegend an letztere, engere Definition halten.

Musik

Musik wird als Tonkunst, die auf jeden Fall auch Zeitkunst ist, definiert. Da sich diese Definition in den meisten Lexika findet oder diese zumindest als möglich erwähnt wird, nehme ich sie als gegeben an. Ich will Musik als "künstlerische, akustische Zeitgestaltung" verstehen, da diese Arbeitsdefinition im Kontext der Arbeit besser geeignet ist - sie verzichtet auf den Begriff des Tons, der im musikalischen Bereich strenggenommen nur Ausdruck einer absoluten Tonhöhe, also ein Sinus-Ton - und nicht eine umfassende Bezeichnung für akustische Ereignisse wie in anderen Bereichen (z.B. Filmton, Tonband) darstellt.

Elektronische Musik

Elektronische Musik wird in Wörterbüchern und allgemeinen Musiklehren als Musik, die unter Verwendung elektronischer Geräte erzeugt wird, bezeichnet. Diese Definition setzt nicht voraus, dass ausschließlich elektronische Geräte zur Erzeugung von elektronischer Musik verwendet werden dürfen.

Da es unterschiedliche Strömungen innerhalb der elektronischen Musik gab und auch noch gibt, die teilweise gewisse Entwicklungen für sich in Anspruch nehmen und andere versuchen auszugrenzen, möchte ich mich hier auf keine allzu eng gefasste Definition einlassen. Insbesondere schließe ich die "Musique concrète", die elektroakustische Musik und die live-elektronische Musik mit ein, da sie allesamt die o.g. Definition erfüllen, wobei letztere für den Bereich des Films natürlich nicht von Bedeutung ist. Auch das, was man im weitesten Sinne unter "Tape-Music" bzw. Tonbandmusik versteht, schließe ich hier mit ein, wobei diese auch die genannten Kriterien erfüllt. Eine genaue Definition von Tonbandmusik liefert die Diplomarbeit von Roman Pfeifer.10 Hier findet sich auch eine Diskussion der Fragestellung, ob Aufnahmen rein instrumentaler Musik Tonbandmusik seien. Pfeifer bejaht dies:

"Klangsynthese und das Fehlen eines Interpreten bzw. das Zusammenfallen von Komposition und Interpretation sind [...] keine ausreichenden Merkmale für Tonbandmusik und es gibt auch Tonbandmusiken, die diesen beiden Kriterien nicht entsprechen. Tonbandmusik subsummiert also auch alle Aufnahmen von Instrumentaler Musik, [...]"11

Diese Klarstellung ist vor allem in Hinblick auf die Fragestellung, ob es nichtelektronische Filmmusik gibt, wichtig.

Abgrenzungen

Nicht-elektronische Filmmusik

Gibt es nicht-elektronische Filmmusik? Diese Frage kann eindeutig bejaht werden, da es sich bei den ersten Kinofilmen, abgesehen von einigen Versuchen mit Phonographen, um Stummfilme handelte, die live von einem Pianisten, Film-Organisten oder einem Ensemble begleitet wurden. Zudem beschränkt sich die Welt des Films nicht nur auf populäre Spielfilme, sondern sie schließt jede andere Form von bewegten Bildern mit ein. Jedes instrumentale Werk mit Video und umgekehrt jeder Film mit instrumentaler Begleitung liefert definitiv nicht-elektronische Filmmusik. In diesen Fällen stellt sich jedoch die Frage, ob die Bezeichnung Filmmusik überhaupt angemessen ist, da sie eine Unterordnung der Musik gegenüber dem Film suggeriert. Dies soll hier nicht beurteilt werden, allerdings ist es wichtig zu erkennen, dass es möglich ist, den Film der Musik eindeutig unterzuordnen und umgekehrt; jegliche Zwischenstufen sind hier selbstverständlich möglich. Die Variationsbreite geht von der Musik als Lückenfüller ohne Bedeutung innerhalb eines Films bis zu fast zufällig ausgewählten Videos - je nachdem, was gerade zur Verfügung steht - zum "Aufpeppen" einer Bühnenshow oder Musikclips im Pop-Bereich, die eigentlich nicht Teil des Werkes oder Produktes sind sondern nur dem Zweck der Vermarktung dienen.

Anders sieht es bei zeitgenössischen Spielfilmen aus, die für Kino und Fernsehen produziert wurden. In diese Kategorie fallen auch alle Filme, die in dieser Arbeit als Beispiele dienen. Der gesamte Ton einschließlich der Musik wird hier über Lautsprecher wiedergegeben. Gemäß der o.g. Definition von Tonbandmusik muss es sich bei der Musik dieser Filme um elektronische Musik handeln. Auch wenn man Aufnahmen rein instrumentaler Musik ausklammert, wird man in Filmen nur Musik finden, die (auch) als elektronische Musik zu bezeichnen ist. Es liegt in der Natur der Sache, dass Filmmusik zwingend montiert ist. Zudem behaupte ich, dass man in neuerer Zeit keinen einzigen derartigen Film mit vollkommen unbearbeiteter Musik, d.h. ohne einfache Effekte wie Fades, Panning, Equalizing und Hall finden wird. In älteren Filmen ist vor allem die Klangqualität von Bedeutung, da auch diese der Musik eine charakteristische Prägung gibt. Die Musik in Filmen der 30er-60er Jahre hätte live gespielt einen anderen Charakter. Auch wenn die Werke notiert vorliegen und in der Form, in der sie auf einem eventuell existierenden Sound aufgenommen sind, aufgeführt werden könnten, in der Form, die sie innerhalb es Films haben, sind sie nicht aufführbar.

Bei einem großen Teil der Filmmusik ist diese Frage ohnehin eindeutig zu beantworten, da sie mehr oder weniger stark elektronisch verfremdet bzw. um elektronische Klänge und Instrumente bereichert sind oder es sich um rein elektronische Musik handelt.

Bei einer Betrachtung von Filmmusik im Hinblick auf elektronische Musik und Sound- Design ist eine vorherige Identifizierung der Musik als elektronische Musik also nicht notwendig.

Elektronische Musik oder Sound-Design?

Eine grobe Unterscheidung zwischen elektronischer Musik und Sound-Design kann innerhalb eines Films anhand der eingangs beschriebenen Unterteilung in drei Bereiche (S. 3 oben) vorgenommen werden. Elektronische Musik fällt hierbei in den dritten Bereich, den Bereich der Musik, während Sound-Design nach der hier angewendeten Definition in den Bereich der Geräusche gehört. Geräusche stellen dabei das dar, was der Zuschauer auch hören würde bzw. das wovon er glaubt es hören zu müssen, wenn er sich tatsächlich innerhalb des in der Einstellung gezeigten Szenarios befinden würde. Musik ist zunächst einmal nur Beigabe und nicht zwingend erforderlich. Sie dient in den meisten Fällen atmosphärischen oder emotionalen Zwecken und kann unterstützend oder kontrastierend wirken. Im Gegensatz zur Musik fällt es bei den Geräuschen sofort auf, wenn diese nicht passen oder im Extremfall nichts mit dem Film zu tun haben. Bei der Musik ist zumindest ein gewisser Zeitraum notwendig, um Unstimmigkeiten zu bemerken und auch dann wird man kaum mit Sicherheit sagen können, ob eine derartige Wirkung nicht beabsichtigt ist.

Mickey-Mousing

Diese einfache Einteilung wird allerdings schon durch klassische Techniken der Filmmusik wie das "Mickey-Mousing", das es schon in rein instrumentaler live gespielter Filmmusik gab, gesprengt. Beim Mickey-Mousing handelt es sich um Nachbildung von Geräuschen, u.a. Schlägen, Schritten, Zerbrechen usw. mit Hilfe von Instrumenten bzw. Musik. Besonders in Stummfilmen und Filmen ohne weiteren Ton wurde diese Technik, teils notgedrungen, teils stilprägend eingesetzt (z.B. Charlie Chaplin Filme, frühe Walt Disney Produktionen), heute ist sie aus der Mode gekommen. 12 Obwohl Mickey-Mousing zu den klassischen Stilmitteln der Filmmusik gehört, würde man es eher zu den Geräuschen als zur Musik zählen, da es auf der einen Seite versucht, die real erklingenden Töne akustisch wiederzugeben. Auf der anderen Seite ist Mickey-Mousing bezüglich seiner kompositorisch-künstlerischen Möglichkeiten sehr eingeschränkt, da es zeitlich fest an die Handlung im Film gekoppelt ist und auch klanglich bestimmte Erwartungen zu erfüllen hat. Ob der Begriff des Sound-Designs hierfür angemessen ist, ist fraglich, allein aus zeitlichen Gründen, schließlich wurden der Begriff und die damit verbundene Vorstellung einer Tätigkeit erst viele Jahrzehnte später geprägt. Unabhängig von seiner begrifflichen Einordnung gibt es auch beim Mickey-Mousing einen großen Spielraum zur Kreation neuer und zur Manipulation alter Klänge.

Spiel mir das Lied vom Tod (Once upon a time in the west)

Es ist vor allem die künstlerische, kompositorische Gestaltungsfreiheit, die Musik von dem im wesentlichen zweckmäßigen, nach technischen Aspekten erschaffenen Geräusch abhebt. Komplementär zum Mickey-Mousing können Geräusche unter musikalischen Aspekten komponiert werden, wobei sich das Bild nach den musikalischen Anforderungen richtet, indem es die Ereignisse zeigt, die die gewünschten Klänge erzeugen. Als Beispiel dafür sei die berühmte Anfangsszene des Western-Films "Spiel mir das Lied vom Tod" von Sergio Leone aus dem Jahr 1968 erwähnt. In dieser Szene befinden sich drei typische Western-Schurken an einem Bahnhof in der Wüste und warten auf den Zug. Inhaltlich ist die Szene bedeutungslos, der Film könnte unter dem Aspekt des "Story-Tellings" auch nach dieser beginnen. Bekanntheit und Kultstatus erreichte diese Szene jedoch aufgrund ihres beeindruckenden Sounds. Das Klangmaterial dieser Szene besteht u.a. aus dem Quietschen eines Windrades, dem Summen einer Fliege, tropfendem Wasser, Wind, Vogelgezwitscher, Knacken mit den Finger- und Handgelenken, Quietschen von Kreide auf einer Tafel, Schritten und Türenknarren. Da es in der gesamten Szene keine inhaltlichen Notwendigkeiten gibt, kann man sie als nach künstlerischen Aspekten durchkomponiert betrachten. Dies bezieht sich auf Bild und Ton, wobei letzterer in dieser Szene die dominante Rolle einnimmt. Bei dem Ton dieser Szene kann man von Spezial-Effekten und somit von Sound-Design sprechen, da keines der Geräusche dieser Szene wirklich realistisch, sondern stark übertrieben ist. Trotz des noch vorhandenen Bezugs zwischen Bild und Ton handelt es sich nicht mehr um das, was ein Beobachter der Szenerie tatsächlich hören würde, dafür sind die Klänge zu isoliert. Vielmehr lassen sich traditionelle musikalische Techniken wie Wiederholung, Einführung / Wiederkehr und Variation von Elementen erkennen, das Quietschen des Windrades könnte sogar als rhythmisches Grundmuster angesehen werden. Der Ton der Szene kann also als komponierte "musique concrète" angesehen werden. Hinzu kommt, dass die Wirkung des Tons auf den Zuschauer emotionaler und atmosphärischer Natur ist - eine Eigenschaft, die im Film - wie bereits erwähnt - vor allem der Musik zugeschrieben wird. Hier steht die traditionelle Unterscheidung zwischen Musik und Geräusch (S. 9) Kopf und ist nicht mehr anwendbar. Außerdem handelt es sich hier um einen Fall, in dem die Bezeichnungen elektronische Musik (in diesem Fall musique concrète) und Sound-Effekt / Sound-Design in gleicher Weise zutreffend sind.

Apocalypse Now

Eine weitere Steigerung erleben die bisher genannten Prinzipien im Film Apocalypse Now, der im Vietnamkrieg spielt. Hier gibt es fließende Übergänge zwischen Musik und Sound, der Klang eines Helikopters entwickelt sich aus der Musik, an anderer Stelle kann man ihn selbst als Musik sehen und auf der Handlungsebene wird Wagners "Ritt der Walküren" aus einem Helikopter heraus abgespielt.

So wie andere Filme oft mit traditioneller Musik und schwarzem Bild beginnen, so beginnt Apocalypse Now mit einem erkennbar synthetischen, den Zuschauer umkreisenden Helikopter-Klang. Für die Realisierung der Klänge der Helikopter wurde eine Partitur von Randy Thom erstellt. Der Klang der Hubschrauber zieht sich durch weite Teile des Films, sie Erklingen teilweise auch, wenn sie nicht zu sehen sind. Man könnte behaupten, der (synthetische) Helikopter sei das wichtigste Instrument der Filmmusik von Apocalypse Now. Er wurde in abgewandelter Form in anderen Filmen (z.B. Forest Gump) zitiert.

Interessanterweise gehört der Klang von Hubschrauberrotoren zu den verhältnismäßig häufig verwendeten Maschinenklängen innerhalb der Gebrauchs- und Populärmusik, er ist außerdem Teil des General-Midi Standards.

Raumklang

Ein Phänomen, das im Zusammenhang von Filmmusik und elektronischer Musik Erwähnung finden muss, ist die weit größere Aufgeschlossenheit seitens unbedarfter Rezipienten gegenüber Dissonanzen und Neuartigem innerhalb von Filmmusik. Die meisten Menschen, die mit elektronischer oder zeitgenössischer Musik im weitesten Sinne zu tun haben, dürften schon festgestellt haben, dass Personen, die einem Werk absprechen Musik zu sein, das gleiche oder ein ähnliches Werk, in einem Film verwendet, oft gar nicht als außergewöhnlich empfinden würden. Es kommt vor, dass sie dieses, z.B. bezogen auf seine Wirkung, sogar positiv hervorheben würden.

Ein besonders kontroverses Werk der jüngeren Geschichte ist sicher "4:33" von John Cage. Das Werk könnte man als eine Pause der Länge 4'33'' für Klavier bezeichnen. Die Bezeichnung als Stille ist eindeutig falsch. Das, was bei diesem Werk klingt, ist der Raum in dem es aufgeführt wird. Der Klang eines Raums spielt für Filmton eine große Rolle und wird landläufig als "Atmo" (von Atmosphäre) bezeichnet.

Stille gehört zu den aufwändig gestalteten Klängen innerhalb eines Films. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Film "Solaris" in der Fassung von 2002 von Steven Sonderbergh. Schauplatz des Films ist eine Raumstation in der Umlaufbahn eines mysteriösen Planeten. Innerhalb dieser Raumstation hat jeder Raum seinen eigenen Klang in Form des Rauschens der Belüftungsanlage. Obwohl strenggenommen keine Musik erklingt, wirkt es auf den Zuschauer fast so, als hätte jeder Raum seine eigene unterschwellige Musik. Die Ursache hierfür ist einerseits die lange Tradition von Leitmotiven bestimmter Plätze und Personen innerhalb von Filmen, andererseits aber auch der fließende, unmerkliche Übergang von eher instrumental wirkender elektronischer über deutlich elektronisch klingende Musik zum Hintergrundrauschen der Raumstation, als der Hauptdarsteller zum ersten Mal die Station betritt.

Dem Planeten ist, anders als den Räumen, ein musikalisches Leitmotiv, das aus hohen dissonanten Flächen besteht, zugeordnet. Es kann als Beispiel für die o.g. Art dissonan13 ter elektronischer Musik angesehen werden, die in Filmen eine höhere Akzeptanz genießt. Es kann außerdem als ein gutes Beispiel für Sound-Design innerhalb von elektronischer Musik angesehen werden. In elektronischer Musik werden meist Klänge erfunden bzw. komponiert, was nichts anderes als Sound-Design darstellt. Das bedeutet, dass es innerhalb der elektronischen Musik meist zwangsläufig zu Sound-Design und zu einer Vermischung damit kommt. Am Rande sei erwähnt dass die Instrumentation instrumentaler Musik auch Sound-Design darstellt, da dabei genau das entwickelt wird, was nach der eingangs gelieferten Definition Sound ist.

"Ein Komponist ist in Kenntnis von Instrumentalklängen durchaus in der Lage durch Arrangement verschiedener Instrumente oder Instrumentalgruppen zu Vermischungen und Abfärbungen zu kommen, die im resultierenden Klang einen "neuen" Mischklang ergeben, der nicht mehr eindeutig einer Instrumentengruppe zuzuordnen ist.Diese Tätigkeit eines Komponisten, oder auch oft genug eines Arrangeurs, nennt man Instrumentation."13

Abschließend

Die Untersuchung des Tons konkreter Filmbeispiele zeigt, dass absolute Kategorisierungen in vielen Fällen kaum noch vorgenommen werden können. Es bleibt auch festzuhalten, dass es unterschiedliche Meinungen darüber gibt, was bestimmte Begriffe bedeuten. Eine erst allmähliche Begriffsbildung muss bei relativ jungen Begriffen wie Sound-Design wohl hingenommen werden, und auch wenn eine eindeutige Begrifflichkeit wünschenswert ist. In künstlerischen Bereichen ist eine Eindeutigkeit oft nicht möglich, wie schon das Beispiel des Begriffs Musik zeigt. Je höher der künstlerische Anspruch ist, desto größer ist auch der Anspruch, bestehende Grenzen zu überschreiten.

Natürlich darf auch das keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben, da es sicher viele hervorragende Filme mit klaren Abgrenzungen zwischen Dialog, Geräusch und Musik gibt. Trotzdem sind unterschiedlichste Herangehensweisen beim Zusammenführen unterschiedlicher (nicht nur klanglicher) Elemente außerordentlich wichtig, da der Film, bei dem viele künstlerische Bereiche zusammenkommen (können), hier weitreichende Möglichkeiten bietet, die noch lange nicht ausgeschöpft sind. Nur auf diese Weise ist ein Spannungsfeld, wie es in einigen Filmen zwischen elektronischer Musik und Sound-Design aufgebaut wird, möglich.

Literaturverzeichnis

Fachbücher

Fachliteratur im Bereich Sound-Design

Fachliteratur im Bereich Musik

Diplomarbeiten

Aufsätze

Lexika

Webseiten

Gesichtete Filme




(C) Jan Strobl - Essen - Germany 2007-04-15 20:51:08

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